Tagesstärkung

Johannes Bonaventura
Kirchenlehrer und Kardinal

Itinerariummentis in Deum -
Der Weg des Menschen zu Gott




20.11.2022

V. Die Schau der göttlichen Einheit durch ihren ersten Namen, das Sein

3. Primordialität des Seins (Teil II)

Da das Nicht-Sein ein Mangel an Sein ist, tritt es nur durch das Sein in die Erkenntnis ein. Das Sein aber tritt nicht durch etwas anderes ein. Denn alles, was erkannt wird, wird entweder als Nicht-Sein, als Möglichkeit oder als wirkliches Sein erkannt. Wenn also das Nicht-Sein nur durch das Sein und das mögliche Sein nur durch das wirkliche Sein erkannt werden kann, und wenn mit Sein die reine Wirklichkeit des Seins gemeint ist, dann gilt: Das Sein ist das Erste, was in der Vernunft auftritt, und dieses Sein ist reine Wirklichkeit.
Nun kann dieses Sein auch nicht einfach ein Teil sein. Solches Sein wäre beschränkt, weil ein Teil immer mit Möglichkeit vermischt ist. Es kann auch nicht einfach analog sein, weil analoges Sein nur sehr wenig wirkliches Sein enthält, eben weil es nur sehr wenig wirklich ist. Folglich kann das Sein Selbst nur das göttliche Sein sein.



19.11.2022

V. Die Schau der göttlichen Einheit durch ihren ersten Namen, das Sein

3. Primordialität des Seins (Teil I)

Wer also die unsichtbare Wirklichkeit Gottes nach der Einheit des Seins betrachten will, der möge zuerst seinen Blick auf das Sein Selbst richten und erkennen:
Dieses Sein ist so sehr und über alle Maßen gewiss, dass es nicht möglich ist zu denken, es existiere nicht. Denn das reinste Sein tritt nur bei voller Abwesenheit des Nicht-Seins auf, wie auch das Nichts nur bei voller Abwesenheit des Seins auftritt. Wie also das völlige Nichts nichts vom Sein, noch von seinen Grundbedingungen an sich hat, so hat auch umgekehrt das Sein nichts vom Nicht-Sein an Sich, weder der Wirklichkeit, noch der Möglichkeit nach, weder der Sache selbst, noch unserer Einschätzung nach.